Frisch
geschnitten
Der demografisch bedingte Trend zu
kleineren Wohnungen erfordert
Grundrisse mit flexiblen Schnitten
Die demografische Entwicklung, die Urbanisierung und die Individualisierung beeinflussen den schweizerischen Wohnungsmarkt immer stärker. Eine Folge dieser Einflussfaktoren ist der massive Anstieg von Singlehaushalten. In den Grossstädten der Schweiz besteht jeder dritte Haushalt aus nur einer Person. Ein weiterer Drittel wird von Paaren belegt. Auf Familien und andere Gemeinschaften entfallen nur noch rund 33% aller Haushalte.
Das Besondere an dieser Konstellation ist die ungleiche Flächenverteilung pro Haushaltsmitglied. Im Vergleich zu Haushalten mit zwei oder mehreren Personen beanspruchen Singles die doppelte Fläche. Wenn die Singlehaushalten weiter zunehmen − was absehbar ist −, wächst der Flächenbedarf pro Kopf überproportional. Gleichzeitig ist der städtische Wohnraum knapp und entsprechend teuer. Was tun?
Kleinere Flächen, multifunktionale Grundrisse
Ein naheliegender Lösungsansatz sind flexible Wohnkonzepte, die über multifunktionale Grundrisse verfügen und auch auf kleineren Flächen funktionieren. In der Diskussion über neue Wohnformen und Flächennutzungen müssen bestehende Denkkorsette aufgeschnürt werden und neuen Experimenten weichen. Alleinwohnende wie überzeugte Singles, Wochenaufenthalter oder Lebensabschnitt-Singles wie Studenten oder Geschiedene bilden dabei eine Art der rationalen Objektivität.
Im Vergleich zu Haushalten mit zwei oder mehreren Personen beanspruchen Singles die doppelte Fläche.
Darauf basierend gilt es die statischen Grundrissformen aufzulösen, wandelbar und somit flexibel zu machen. Die neue Wohnidee baut darauf, dass sich der Grundriss dem Nutzerverhalten des Bewohners anpasst. Die Definition der Räume in Wohnen, Essen und Schlafen wird aufgehoben. Durch flexible Elemente können die Räume individuell genutzt werden. Der Schlafraum wird zum Essraum, der Essraum zum Wohnraum und der Wohnraum zum Essraum − und umgekehrt. Die grundlegenden Elemente der Architektur wie Böden, Wände und Decken sind im Hinblick auf eine beweglichere Bewohnbarkeit der Räume neu zu denken.
Eine wichtige Rolle kommt auch den Einbauten und den Möbeln sowie den strukturellen Elementen zu. Die konstruktive Umsetzung des neuen Grundrisses erfolgt massgeblich mit beweglichen und bekannten Bauteilen wie Schiebe-, Dreh- und Faltelementen in Form von Wänden oder von Möbeln. Die statischen Elemente reduzieren sich auf Küchen- und Sanitärräume. Die Idee des wandelbaren Raums ist nicht neu, muss aber wiederbelebt und neu interpretiert werden.
Lernen von Le Corbusier und Mendelsohn
Exzentrisches Beispiel aus der Geschichte ist das Appartement des Millionenerbes und Kunstsammlers Carlos de Beistegui y de Yturbe von 1931. Er liess auf ein bestehendes Gebäude an den Champs-Élysées zwei Geschosse setzen, die sich an den Surrealismus anlehnen und mit zahlreichen technischen Spielereien ausgestattet sind. So können zwei Hecken auf der Dachterrasse automatisch versetzt werden, um den Blick auf den Arc de Triomphe freizugeben. Ebenso spielte Le Corbusier im Innenraum mit flexiblen Elementen, was in der damaligen Zeit in Paris als Spektakel wahrgenommen wurde.
Auch der in Ostpreussen geborene Architekt Erich Mendelsohn versuchte schon in den frühen zwanziger Jahren des letzten Jahrhunderts, den Raum wandelbar zu gestalten. Er bediente sich dazu einer dreigeteilten Drehbühne, einer «Essecke», einer «Hausmusiknische» mit einem Klavier und einer Sitzgruppe mit Grammofon und Radio, die dem Wohnraum zugedreht werden konnte. Die Idee realisierte er in vier Einfamilienhäusern, deren Besitzer die Drehbühne allerdings schon beim Bezug herausrissen. Diese Handlungen zeigen die Schwierigkeit des wandelbaren Raums auf. Das träge Verhalten der Bewohner bremst die Veränderbarkeit. Nur wenn der Wandel des Raums einfach umzusetzen ist, schnell gestaltet werden kann und eine positive Emotion hervorruft, hat er eine Chance.
Die neue Wohnidee baut darauf, dass sich der Grundriss dem Nutzerverhalten des Bewohners anpasst.
Die Urbanisierung und die Verdichtung der vorhandenen Bauzonen werden sich fortsetzen. Sie entsprechen nicht nur einer politischen Absicht, sondern sind auch konform mit einer nachhaltigen Entwicklung. Es liegt nun an uns, innovative Wohnformen und intelligente, anpassungsfähige Grundrisse zu schaffen.

Niels Roefs
ist Mitglied des Verwaltungsrats der Fundamenta Real Estate AG und Inhaber von Roefs Architekten AG, Zug. Der ausgebildete Hochbauzeichner hat sein Studium in Zürich 1996 als dipl. Architekt ETH abgeschlossen.