Fundamenta Real Estate AG

Produktion vs Nachfrage im Wohnungsmarkt: ein Miteinander ist gefragt

Die Nachfrage nach Wohnraum steigt und gleich­zeitig wird nicht genügend gebaut. Die Ursachen für diese Disbalance und wie dem entgegen­gewirkt werden kann, werden hier aufgezeigt

Die Nachfrage nach Wohnraum in der Schweiz ist in der letzten Zeit kontinuierlich gestiegen. Ein Grund dafür ist das dynamischere Bevölkerungswachstum. Im Jahr 2022 stieg die Bevölkerungszahl in der Schweiz schätzungsweise um über 150’000 Personen. Davon entfielen etwa die Hälfte auf die ständige Wohnbevölkerung und die andere Hälfte auf die nicht ständige Wohnbevölkerung, wie Kurzzeitaufenthalter und Asylsuchende.

Dieser Anstieg ist zum einen auf den hohen Bedarf an Arbeitskräften aus dem Ausland zurückzuführen. Insbesondere Menschen aus Deutschland, Italien, Frankreich, Portugal und Spanien haben in den letzten beiden Jahren hierzulande eine Stelle angetreten. Zum anderen kamen im letzten Jahr viele ukrainische Flüchtlinge in die Schweiz, von denen sich ein Teil dauerhaft hier niederlassen dürfte. Dies könnte dazu beitragen, den Fachkräftemangel in bestimmten Sektoren wie dem Gastgewerbe, Gesundheitswesen, IT und Kommunikation zu mildern. Gleichzeitig wird dadurch auch die Nachfrage nach Wohnraum steigen.

Je älter die Bevölkerung wird, desto mehr Wohnungen sind nötig

Die fortlaufend wandelnde Altersstruktur der Bevölkerung hat auch immer stärkere Auswirkungen auf die Nachfrage nach Wohnraum. Ältere Personen ab 55 Jahren leben wesentlich häufiger nur zu zweit oder alleine, weshalb diese Altersgruppe auf eine überdurchschnittliche Anzahl von Wohnungen verteilt ist. Je grösser der Anteil dieser Gruppe an der Gesamtbevölkerung wird, desto geringer ist die durchschnittliche Belegungsdichte in den Wohnungen und folglich steigt der Bedarf an Wohnungen für die ansässige Bevölkerung.

Anhaltend hohe Umszugsaktivitäten

Nicht nur das Bevölkerungs- und Haushaltswachstum, sondern auch die Umzugsaktivitäten bestehender Haushalte generieren einen Bedarf an verfügbaren Mietwohnungen. Laut dem «Immo-Barometer» 2022, einer seit 2002 jährlich von Wüest Partner durchgeführten repräsentativen Umfrage bei über 1000 Haushalten, möchten rund 27 Prozent der Schweizer Mieterinnen und Mieter sofort oder gelegentlich umziehen. Die häufigsten Gründe, die von den Befragten für den Wunsch nach einer neuen Wohnung genannt wurden, waren eine Veränderung ihrer Lebenssituation, eine aktuell zu kleine Wohnung sowie eine allgemeine Unzufriedenheit mit ihrer aktuellen Wohnsituation.

Hohes Potenzial für Immobilieninvestoren

Der derzeitige hohe Bedarf an Mietwohnungen bietet ein grosses Potenzial für Immobilieninvestoren, die nach rentablen Anlagemöglichkeiten mit stetigen Einnahmen suchen. Die steigende Nachfrage nach Wohnraum führt zu niedrigen Leerstandsrisiken und attraktiven Nettocashflowrenditen. Gleichzeitig stabilisiert der hohe Bedarf an Wohnraum auch die Preise für Renditeobjekte in Zeiten steigender Zinsen.

Vielfältige Auslöser

Trotz der vielversprechenden Ausgangslage für Immobilieninvestoren wird derzeit nicht genügend gebaut, um der gestiegenen Nachfragedynamik gerecht zu werden. Hierfür gibt es gleich fünf Gründe. Erstens dürfte die bis 2020 spürbar gestiegene Anzahl an Leerständen einige Investoren dazu bewegt haben, beim Neubau zurückhaltender zu sein. Zweitens wird das Bauland aufgrund der Umsetzung der revidierten Raumplanung immer knapper. Vor allem an zentralen Standorten müssen oft zuerst Objekte abgerissen werden, bevor neue gebaut werden können, wodurch der Nettozugang an Wohnraum bei gleich bleibender Neubautätigkeit abnimmt.

Drittens erschweren die steigende Anzahl an Regulierungen (Brand- und Lärmschutz, Umweltvorschriften, Sicherheitsanforderungen, Baurecht usw.) in vielen Fällen die Schaffung von neuem Wohnraum. Viertens haben die Veränderungen auf den Finanzmärkten zu einem Anstieg der Finanzierungskosten geführt, was sich ebenfalls negativ auf die Neubautätigkeit auswirkt. Und fünftens dämpfen die zuletzt stark gestiegenen Baukosten, die durch den Anstieg von Löhnen, Material- und Energiepreisen verursacht wurden, die Neubautätigkeit.

«Trotz der vielversprechenden Ausgangslage für Immobilieninvestoren wird derzeit nicht genügend gebaut, um der gestiegenen Nachfragedynamik gerecht zu werden.»

Die meisten Regionen sind betroffen 

Eine Disbalance zwischen hoher Nachfrage nach Wohnraum und beschränktem Wohnungsangebot ist in der Schweiz keine neue Entwicklung. Allerdings konzentrierte sich die Übernachfrage nach Mietwohnungen noch vor einigen Jahren vor allem auf die urbanen Gebiete wie Zürich, Genf und Lausanne. Inzwischen ist diese Entwicklung auch in vielen ländlichen Gebieten und Bergregionen zu beobachten.

Wenn man davon ausgeht, dass das Bevölkerungswachstum in den nächsten beiden Jahren höher sein wird als in den letzten fünf Jahren und dies mit den eingereichten Baugesuchen und erteilten Baubewilligungen der letzten Monate vergleicht, deutet alles darauf hin, dass die Wohnraumerstellung in einigen Kantonen besonders knapp sein wird (jeweils in Relation zur Grösse des Kantons): Zug, Graubünden, Obwalden, Zürich, Schwyz und Genf. Grundsätzlich zeigt sich die Übernachfrage aber auch in den anderen Kantonen, mit Ausnahme des Jura und des Tessins.

Entspannung bei der Baupreisteuerung

Derzeit gibt es noch keine Anzeichen für eine Abkühlung der Nachfrage nach Wohnraum. Zukünftige oder bereits realisierte Neubauprojekte dürften daher auf eine hohe Nachfrage seitens der Mieter treffen. Dies bietet Investoren die Möglichkeit, in den Bau neuer Wohnimmobilien zu investieren oder vorhandene Immobilienbestände zu erweitern, um von der hohen Nachfrage zu profitieren.

Es gibt auch Anzeichen für eine gewisse Entspannung bei einem der bremsenden Faktoren, den steigenden Baupreisen. Der Höhepunkt der Baupreissteigerung dürfte bereits seit einigen Monaten überschritten sein und es ist mit einer deutlich stabileren Entwicklung in den kommenden Monaten zu rechnen. Darüber hinaus haben sich die Lieferengpässe bei vielen Baumaterialien mittlerweile gelockert.

«Der Höhepunkt der Baupreissteigerung dürfte bereits seit einigen Monaten überschritten sein und es ist mit einer deutlich stabileren Entwicklung in den kommenden Monaten zu rechnen.»

Ein Miteinander von Markt und Staat ist gefragt

Die Disbalance zwischen Angebot und Nachfrage wird die Schweiz noch eine Weile begleiten. Um wieder mehr Investitionen in Neubautätigkeit seitens privater und institutioneller Investoren zu fördern, könnte der Staat die Rahmenbedingungen verbessern. Zum Beispiel könnte mehr Wohnraum durch die Lockerung einzelner Bauvorschriften oder durch höhere Ausnützungsziffern geschaffen werden.

Zusätzlich kann der Staat auf der Kostenseite für Entlastung sorgen, indem er Förderprogramme ausweitet oder steuerliche Anreize schafft, um die Errichtung von klimaneutralen oder erschwinglichen Wohnungen zu fördern. Nur durch eine Zusammenarbeit von Markt und Staat wird das Ungleichgewicht zwischen Wohnungsbedarf und -angebot abnehmen können.

Dr. Robert Weinert

Dr. oec. HSG

Robert Weinert ist Partner in der Division «Data, Analytics and Technology» von Wüest Partner und Co-Leiter des Teams «Markt, Research und Immo-Monitoring». Er ist verantwortlich für die Erstellung von Markteinschätzungen und -prognosen sowie für Spezialstudien zu unterschiedlichsten Themen im Bereich Immobilien. Darüber hinaus ist er auch für internationales Research mitverantwortlich. Robert Weinert hat in Wirtschaftswissenschaften promoviert (Dr. oec. HSG).

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